Der große Hagelwirbelsturm in Köln 1898:
Größere Schäden durch Gewitter sind in Köln äußerst selten, da Unwetter fast immer durch das Vorgebirge im Südwesten oder das Bergische Land im Nordosten abgefangen werden, ohne das breite Rhei
ntal zu überschreiten.
Am 7.August 1898 gegen 17 Uhr bahnte sich aber bei schwül-warmen Temperaturen ein Jahrhundertunwetter an: dunkle, schwere Wolkenberge türmten sich im Westen hinter dem Vorgebirge auf und ein scharfer Nordwestwind trieb diese letztlich auf die Rheinebene zu: Wind peitschte nieder, es hagelte Körner mit einem Durchmesser von bis zu 4-5cm, und eine nur schmale, aber zerstörerische Windhose zog von West nach Ost über die südlichen Vororte der Stadt.
In den Stadtteilen Arnoldshöhe, Bayenthal, Raderthal und Poll wurden verheerende Schäden angerichtet. Stellenweise war die Wirkung der Windhose explosionsartig: Massive Wände wurden von den Häusern abgerissen und in die luftleere Mitte gedrückt, genau wie bei den berüchtigten amerikanischen Tornados; auch hier wie dort wurden kleine Strecken übersprungen.
Die "Kölnische Maschinenfabrik" in Bayenthal wurde am schwersten getroffen, die Fabrikanlagen völlig verwüstet: Die Sandform- und Lehmgießerei mit dem Modellschuppen, die Hauptkesselstation mit den Betriebsmaschinen und den vier großen Kaminen wurde vollständig zerstört, der fünfte, 25 Meter hohe Kamin geborsten, die Montierungswerkstätte abgedeckt, die Gasfabrik demoliert, ein Gasometer aus feinem Baffin gerissen, wie eine Papiertüte zusammengeknüllt und auf ein Nachbardach geworfen. Am Ende war kein Dach, kein Gebäude der Fabrik unbeschädigt, die mächtige, 3 Meter hohe Einfriedungsmauer ringsum niedergeworfen. Allein der Schaden an der Fabrik betrug ca. 400.000 Reichsmark.
Die aus diesem Anlass aufgelegte Ansichtskarte vermittelt einen sehr guten Eindruck von den entfesselten Naturkräften. Tatsächlich nahmen verschiedene lokale Postkarten-Verlage diese Katastrophe zum Anlass, zahlreiche Lichtdruckkarten von den Zerstörungen in den Kölner Stadtteilen herauszugeben. Allein von den Zerstörungen der Kölner Maschinenfabrik sind ca. 10 Motive bekannt!
Da der Wirbelsturm anschließend den Rhein überquerte und auf die rechtsrheinische Seite wechselte, wurde auch das Bergische Land im Nordosten von Köln hart mitgenommen, besonders Delbrück, Bergisch-Gladbach, Bensberg und Kalk. Die Bürgermeistereien Gladbach und Odenthal (südlich von Altenberg mit dem berühmten Bergischen Dom) waren jede um mehr als 100.000 Reichsmark geschädigt, und gerade hier waren eine Menge von Kleinbauern getroffen, denen mit der Ernte und ihrem Häuschen fast alle Mittel zum Weiterleben genommen wurde.
Traurige Bilanz dieser Nachmittagskatastrophe: Insgesamt zwei Menschen kamen zu Tode, über 1.000 Menschen verloren ihr Hab und Gut oder wurden obdachlos, die Schäden gingen in die Millionenhöhe.
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Eine Stunde vor Mitternacht - Ein Tornado verwüstet Sehlis:
Sehlis - ehemals bei Taucha, jetzt in Taucha eingemeindet - liegt in Sachsen ca. 12 km nordöstlich Leipzig-Zentrum. Die Ortschaft wurde am Sonntag, dem 12.05.1912, gegen 23 Uhr innerhalb von zwei Min
uten von einem Tornado in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Der Tornado von Sehlis steht nach einer Liste des Deutschen Wetterdienstes für das 20. Jahrhundert zeitlich zwischen dem Tornado vom 22.05.1907 in Solingen und einer Windhose in Chemnitz am 27.05.1916, an die wie in Sehlis zahlreiche Ansichtskarten erinnern. Was für Auswirkungen ein solches Geschehen im nahegelegenen Leipzig hätte haben können, lässt sich anhand von Berichten über den Tornado von Köln am 7.08.1898 erahnen, die von Thomas Sävert in der Tornadoliste zusammengestellt sind. Das Kölner Ereignis wurde im April 2021 auch hier in den „Ansichtskartengeschichten“ behandelt.
Nach dem Gemeindeverzeichnis hatte Sehlis 1910 etwa 225 Bewohner; die Coburger Zeitung spricht 1912 von ca. 300 Einwohnern, was sich nicht auszuschließen braucht, wenn man an Pendler denkt. Der Ort wird als wohlhabend geschildert und ist urkundlich seit 1350 nachweisbar.
Die Windhose bildete sich – wie im Lehrbuch – nach einem vorausgegangenen schweren Gewitter und Hagel. Am Boden hatte der Rüssel eine Breite von ca. 200 m. Die Schneise des Tornados lässt sich von Plösitz südöstlich von Sehlis über Taucha bis ins Brandenburgische jenseits der Elbe auf ca. 60 km Länge verfolgen und verläuft etwa von WSW nach NNO. Bei dieser Angabe ist die Karte bei Sävert zugrunde gelegt. Nach der Tornadoskala von Fujita 1971 handelte es sich um einen Tornado der Stufe 3, d.h. Windgeschwindigkeiten zwischen 252 – 333 km, „Dächer und leichte Wände werden abgetragen, Züge entgleisen, Wald wird großenteils entwurzelt, LKW werden umgeworfen oder verschoben“ (Einstufung F3 nach Sävert).
Zum Vergleich: Der Tornado von Pforzheim am 10. Juli 1968 wird als F4-Tornado betrachtet: 1750 Häuser wurden beschädigt, neben zwei Toten in einem Nachbarort gab es 200 teilweise schwer Verletzte. (Das Geschehen ist ausführlich in der Geographischen Rundschau 1970 von Peter Hartleb beschrieben und auch als pdf-Datei verfügbar.)
Um wieder auf Sehlis und die Ansichtskarte zurückzukommen: Noch aus dem Mittelalter stammt die Dorfkirche von Sehlis, die St. Katharinenkirche, die auf den Fotos der zweiten Reihe der Karte zu sehen ist. Bei der Kirche wurde das Dach abgedeckt, wohl auch das Kirchenschiff stark beschädigt und der umgebende Friedhof verwüstet. Von der Gewalt des Tornado zeugte das fünf Zentner schwere Zinkdach einer Grabkapelle, das abgerissen wurde und 150 m entfernt am Dorfteich an einer Pappel endete – um den Stamm herumgewickelt wie ein Stück Papier (andere Berichte verlegen dieses Geschichte nach Taucha).
Ganz oben und in der dritten Reihe, linkes Foto, sieht man auf der Ansichtskarte die halb zerstörte Schule, die erst kurze Zeit zuvor eingeweiht worden war. Das Dach wurde abgedeckt und eine südliche Außenwand herausgerissen. Das Lehrerehepaar Voigt hielt sich im Gebäude auf, blieb aber unverletzt. Überhaupt scheint es bei diesem Tornado keine Toten oder Verletzten gegeben zu haben, was vielleicht an der Massivbauweise der Häuser, dem Sonntag, der fortgeschrittenen Uhrzeit und dem schlechten Wetter lag, bei dem sich nur wenige Leute draußen im Freien aufgehalten haben werden.
Neben den öffentlichen Bauten wurde auch eine große Zahl von Wohnhäusern schwer in Mitleidenschaft gezogen und in und bei Sehlis mindestens sieben Scheunen komplett zerstört. Daneben gab es auch in den Gärten massive Schäden durch entwurzelte oder abgescherte Obstbäume.
Diese Schadensbilanz ließe sich natürlich noch wesentlich erweitern, wenn man sie auf alle geschädigten Orte ausdehnen würde. Besonders schwer getroffen hatte es z.B. die Ortschaft Hohburg, ähnlich groß wie Sehlis, aber etwas abgelegen, wo auch kein Haus unbeschädigt geblieben sein soll. Hier hatte der Orkan 8 Minuten lang gewütet, und eine tiefe Betroffenheit spricht aus den Worten des Korrespondenten des Leipziger Volksblattes, der den Ort am 13. besucht hatte.
Die Karte habe ich in den späten 60er Jahren zusammen mit anderen von meiner Nenntante Gretel geschenkt bekommen, die aus Leipzig stammte und vielleicht selbst als Kind zusammen mit Eltern und Bruder das verwüstete Sehlis besucht hat. Wegen der Nähe zur Stadt produzierten verschiedene Leipziger Verlage Ansichtskarten, die an das Ereignis erinnerten. Viele dieser Karten kauften die etwa 100.000 Schaulustigen, die nach dem Unglück Sehlis besuchten. Für sie mussten 6 Sonderzüge eingerichtet werden. Die Leipziger unter ihnen werden sich zu Recht bei dem Gedanken gegruselt haben, dass sie einer Katastrophe nur sehr knapp entgangen war.
Auch der sächsische König Friedrich August III. (1865-1932) zeigte Präsenz und besuchte am 18.05. die in Mitleidenschaft gezogenen Orte. In Sehlis traf er am späten Nachmittag ein, blieb dort 2½ Stunden, in denen er jedes betroffene Haus besucht haben soll, und auch mit dem Lehrerehepaar Voigt zusammentraf. In Sehlis hinterließ er außer der Erinnerung an seine tröstenden Worte auch eine größere Geldspende.
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