Herr Nikoloffs Reise um die Welt:
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Wettkampf um Weltrekorde ein neues und modernes Phänomen nicht nur in Bulgarien, sondern auch international. George M. Schilling, den das Guinness-Buch der Reko
rde als erfolgsreichsten Globetrotter verzeichnet, gilt als Erfinder des “Postkarten-Reisens“. George M. Schilling kam auf die Idee, von sich selbst Postkarten drucken zu lassen und unterwegs zu verkaufen. Durch den Verkauf von Postkarten konnten abenteuerliche Reisen unterstützt oder sogar komplett finanziert werden. Die Postkarten wurden zu einer Art „Kreditkarte“ der Weltenbummler.
(siehe Stephan Oettermann: Ohne Geld um die Welt. Die Bildpostkarte als Kreditkarte des Weltebummlers. [Ausstellung im Museum Altes Rathaus]. Gerolzhofen: Spiegel & Co 1996, 16 SS., 30 Abb. *)
Ich habe eine solche bulgarische “Postkarten-Reise“ in Paris gekauft. Sie wurde von Alexander Nikolov gedruckt und verbreitet. Informationen über den bulgarischen Reisenden aus Vidin wurde in verschiedenen europäischen und amerikanischen Publikationen veröffentlicht, z.B.: “Washington Times” 1908, “The Butler Weekly Times” 1908 und in der polnischen Zeitung „Dziennik narodowy“ usw.
Alexander Nikolov war ein Lehrer aus der Donaustadt Vidin (Widin). Er wurde um 1847 geboren. Herr Nikolov behauptete, dass er aus einer Familie von langlebigen Menschen stamme - sein Großvater, Vater und seine Mutter lebten mehr als 100 Jahre. Er war verheiratet, hatte elf Kinder und neun Enkel, von denen einer Arzt und der andere Kapitän wurde. Er war gebildet und sprach mehrere Sprachen. 1903 begann er zu Fuß und ohne Geld eine Weltreise. Auf diese Weise war er Teil der modernen Initiative “Ohne Geld um die Welt” zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Seinen Lebensunterhalt verdiente Herr Nikolov durch den Verkauf von Postkarten mit seinem Foto. Zur Finanzierung seiner Reise verbreitete er mehrere Karten – ich kenne zwei Varianten. Auf die Postkarten beschrieb er in mehreren Sprachen seine Ziele - das Studium von Natur und von Gebräuchen der Völker der Welt. Er stellte sich als offizieller königlicher Repräsentant vor, der reiste, um Völker und Kulturen zu untersuchen. Die Reise sollte 10 Jahre (1903 - 19013) dauern, die andere Karte dokumentiert 12 Jahre (1903 - 1915).
Er trug ein Tagebuch bei sich, in dem er Unterschriften und Stempel der offiziellen Behörden der Länder sammelte, die er besuchte. Nachdem er mehrere europäische Länder durchquert hatte, fand er sich 1905 in Spanien wieder, wo er aus Geldmangel einen Selbstmordversuch unternahm. Er setzt seine Reise nach Marokko fort, wo seine beiden Gefährten getötet wurden. Er wurde in Sansibar von Banditen gefangen, um Lösegeld zu erpressen, überstand eine Trinkwasservergiftung, aß Schlangen, wurde von türkischen Soldaten festgenommen und später freigelassen. In 68 Tagen durchquerte er die Sahara und fand sich nach einigen schwierigen Momenten in Asien wieder, wo er von der Kaiserin von China und dem Kaiser von Japan zu einer Audienz empfangen wurde.
Anfang 1908 kam er per Schiff in Seattle an der Westküste der Vereinigten Staaten an. Er durchquerte das Land von West nach Ost und besuchte am 26. Juni die Hauptstadt Washington. Am 2. Juli war er bereits in New York. 1909 war er wieder in Asien - in Teheran, der Hauptstadt des Iran. Seine Pläne waren, heilige Städten für Muslime zu besuchen und weiter nach Sibirien, die Mongolei, die Mandschurei und China zu reisen. Hier verlieren sich seine Spuren… Es ist nicht klar, wie diese ungewöhnliche Reise endete.
In der bulgarischen Presse wurden bisher keine Daten über den Reisenden Alexander Nikolov gefunden. Wir wissen nicht, wie seine Abenteuer endeten. Ich vermute, dass er nicht lebend in seine Stadt Vidin zurückgekehrt ist. Andernfalls wären Informationen über diese ungewöhnliche Reise und den abenteuerlustigen Herrn Nikolov in der einheimischen Presse in Vidin erschienen.
Sensationelle Großereignisse und Rekorde wirkten nicht nur per se als Ikonen der Modernisierung. Ihre Wirkung wurde mit Hilfe von Postkarten verbreitet, verstärkt und für ein breites Publikum erst glaubwürdig gemacht.
* "Ohne Geld um die Welt". Die Bildpostkarte als Kreditkarte des Weltebummlers, von Stephan Oettermann, Exemplare bitte bei stephan_oettermann@web.de
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