Scherzkarte Ironie Satire und tiefere Bedeutung, oder: Am Nordpol stehen die Entdecker Schlange:
Ab 3.09.1909 erschienen in Deutschland erste Meldungen zu Frederick Cooks „Entdeckung“ des Nordpols im Jahre 1908. Die hier gezeigte „Offizielle Nordpolkarte“ (obere Karte) – so wird es jede
nfalls auf der Rückseite behauptet – kann somit erst ab September 1909 in den Verkauf gelangt sein. Nun tragen drei gelaufene Stücke, die bei ansichtskartenversand.com zum Verkauf angeboten werden bzw. wurden, bereits Stempel der zweiten Hälfte des Septembers 1909. Daran sieht man, wie schnell die Ansichtskartenindustrie auf aktuelle Ereignisse zu reagieren verstand.
Eine frühere Version dieser Scherzkarte, die mir zur Kenntnis gebracht wurde, trägt die Überschrift: „Zur Erinnerung an die Entdeckung des Nordpols durch Dr. Cook am 21. April 1908“ (untere Karte).
Schon vier Tage nach dieser Sensationsmeldung vom 3.09.1909 trat dann aber der spätere Rear Admiral Robert Edward Peary mit demselben Anspruch auf: Er reklamierte die „Entdeckung“ des Pols am 26.04.1909 – also ein Jahr später als Cook – für sich selbst und bezeichnete diesen vom ersten Tag an als Betrüger.
Der Berliner Ansichtskartenverlag Weltstadt reagierte auf diese Entwicklung, indem er in Neuauflagen der Karte die Beschriftung mit Cook als Erstentdecker wegließ und die Figur am linken oberen Rand in einen weiteren Arktisforscher mit amerikanischer Flagge umwandelte. Damit muss zu Beginn Peary gemeint gewesen sein, denn seine Anschuldigungen begannen erst Ende September Wirkung zu zeigen und die Stimmung langsam zu seinen Gunsten zu kippen.
Es handelt sich hier also um eine humoristische Ereigniskarte aus der ersten Hälfte des Septembers 1909. Die beiden zentralen Figuren am Pol sind Frederick Cook rechts und einer seiner beiden Inuit-Begleiter. Der Verlag hat mit zwei Männern am Pol unbewusst einen Glücksgriff getan, indem Peary außer von vier Inuit auch von dem Afroamerikaner Matthew A. Henson begleitet wurde, also ein erneutes Umzeichnen unnötig wurde, als sich Pearys Kampagne durchzusetzen begann und man anfing, ihn als den wahren Erstentdecker zu feiern. Cook dagegen zog bei dem Pressekrieg den Kürzeren: Nicht unbedingt, weil seine Ansprüche weniger begründet waren, sondern in erster Linie, weil ihm die prominente Unterstützung fehlte und er sich bei früheren Falschbehauptungen hatte ertappen lassen. Heute werden die Ansprüche beider Forscher nicht mehr ernstgenommen, da sowohl Cook als auch Peary auf dem Weg zum Pol und zurück mit ihren Schlittenhunden absurde Tagesleistungen vollbracht haben wollen und die Dokumentation bei beiden entschieden zu vage ist.
Die drei Skiläufer, die beim Rennen um den Pol gegenüber Cook/Peary den Kürzeren ziehen, symbolisieren vermutlich frühere Versuche, den Pol zu erreichen, z.B. durch Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen 1895 und Umberto Cagni im Jahre 1900.
Der Imbissstand am Pol ist - abgesehen von der Thermometeranzeige -83 Grad - natürlich reine Satire. Die -83 Grad will Cook auf dem Weg zum Pol gemessen haben, wobei natürlich Grad Fahrenheit gemeint sind.
Der Imbiss lässt an die Verhältnisse am Nordkap denken, auf dem das erste Postamt mit Champagner-Ausschank bereits 1898 eingerichtet wurde. „Nordlandfahrten“ an Bord seiner Jacht „Hohenzollern“ hatte Kaiser Wilhelm II. populär gemacht, und das deutsche Besitzbürgertum wallfahrte wie er in den hohen Norden zu den angenommenen germanischen Wurzeln und Stammverwandten, wenn auch etwas bescheidener auf diversen Kreuzfahrtschiffen. Die Zustände am Nordkap waren also in Deutschland Vielen bekannt.
Das für mich interessanteste Detail ist zweifellos der Zeppelin am unteren linken Bildrand. Er ist denn auch mit Zeppelin beschriftet, wobei der ausgezeichnet vernetzte Volksheld Ferdinand Graf Zeppelin 1909 noch am Leben war – er starb im März 1917 – und verbissen und erfolgreich um die Weiterentwicklung und Finanzierung seiner Luftschiffe kämpfte.
Bereits seit 1906/07 trug man sich mit Plänen, das Starrluftschiff vom Typ Zeppelin auch für wissenschaftliche Zwecke einzusetzen, speziell in der Arktisforschung. 1909 formierte sich ein entsprechender Verein unter Führung von Prinz Heinrich von Preußen. Dem waren schon Mitte 1909 Artikel Berliner Zeitungen vorausgegangen, die den Zeppelin als Transportmittel zum Nordpol vorschlugen.
Die offiziellen Pläne nahmen in den folgenden Jahren konkrete Formen an und führten 1910 nach kleineren Vorläufern zu einer größeren Sondierungsexpedition nach Spitzbergen. Diese sollte klären, ob die örtlichen Gegebenheiten einen wissenschaftlichen Einsatz des Zeppelins überhaupt zuließen. An der Hauptexpedition an Bord der „Mainz“ nahmen außer hochkarätigen Wissenschaftlern auch Ferdinand Graf von Zeppelin selbst und Prinz Heinrich von Preußen teil.
Die Ergebnisse wurden 1911 in „Mit Zeppelin nach Spitzbergen“ veröffentlicht: Die dort gezogene Bilanz ist uneingeschränkt positiv. Im Vorwort durch SKH Prinz Heinrich von Preußen distanziert sich dieser ausdrücklich von der Unterstellung, man habe anfangs beabsichtigt, mithilfe eines Zeppelins den Nordpol zu erreichen, Zitat: „denn ein solcher Plan hat nicht bestanden, auch nicht ehe Cooks und Pearys Unternehmungen bekannt wurden.“
Dies mag man nun glauben oder auch nicht, jedenfalls scheinen es unser Zeichner und seine Auftraggeber anders verstanden zu haben, und dadurch erhält die Karte auch eine gewisse politische Spitze.
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