Bald kommt der Zar, hurrah, hurrah …:
Die Ansichtskarte mit den Bildern des "Großherzogl. Schloss in Friedberg" und der zwei Herrscherpaare sandte eine Kurpatientin aus dem benachbarten Bad Nauheim im September 1910 an ihre Angehörigen.
Zu lesen ist auf der Bildseite "1/2 Stunde von Bad Nauheim" und bei den Paaren links "von Heßen" (Großherzog Ernst Ludwig und seine Ehefrau Eleonore) und rechts "von Rußland" (Zar Nikolai und seine Ehefrau Alexandra Feodorowna). Die Schreiberin dürfte auch gewusst haben, dass die Zarin rechts die Schwester des Großherzogs links ist.
Da schreibt eine Friedbergerin am 29. August 1910:
"Liebes Dorchen. Jetzt müßtest Du mal hier sein, wie schön Alles hier ist, Alle Häußer sind geputzt, mit Gurlanden und Kränzen, überall flattern die Fahnen …".
100 Jahre danach, auch noch 2012, waren im Friedberger Burggarten viele Fotos aus diesem Ereignis unter dem Titel "Bald kommt der Zar, hurrah, hurrah …" ausgestellt. Ein Aufsehen erregender Staatsbesuch in der Kreisstadt? Viel mehr war es ein Privatbesuch. Der Zarin waren von ihrem Leibarzt die Bäder in Bad Nauheim empfohlen worden. Dieser Kuraufenthalt von etwa acht Wochen wurde zu einem Ausflug der ganzen Zarenfamilie genutzt.
Auf den ausgestellten Fotos war von der Zarin wenig zu sehen, dort war ihr schlechter Gesundheitszustand erkennbar. Zu dieser Zeit ging der Neubau der Bad Nauheimer Badeanlagen, ein Gesamtkunstwerk des Jugendstils, der Vollendung entgegen. Der kunstsinnige Großherzog hatte das damals weltbekannte Herzheilbad großzügig ausbauen lassen.
Als Unterkunft für die Zarenfamilie kam nur das so genannte Schloss in der Burg Friedberg in Frage. Gefolge und Besucher der Herrschaften mussten ebenfalls untergebracht werden, ebenso ihre Beschützer. Ein Foto in der Ausstellung war bis zum Rand gefüllt mit dem Gruppenbild der russischen Geheimpolizei. Eine russisch-orthodoxe Kirche gab und gibt es noch in Bad Nauheim. Das Schloss in der Burg war ursprünglich der Sitz der Friedberger Burggrafen gewesen. Die Darmstädter Großherzöge hatten es von der in den Jahren 1803 bis 1806 aufgelösten Freien Reichsburg Friedberg geerbt. Burg und Stadt Friedberg waren davor zwei eigene Staaten im alten "Römisch"-Deutschen Reich gewesen.
Die Zarenfamilie verbrachte in Friedberg, Bad Nauheim, der Wetterau und der umliegenden Region eine schöne Ferienzeit mit vielen Besuchern, Verwandten aus anderen Ländern, und mit Ausflügen. Ein Foto zeigt den mühsamen Aufstieg auf den Gipfel des Vogelsbergs, ein anderes eine gesellige Tafel im Freien bei der Burg Münzenberg. Die Damen und die jungen Töchter mit ihren Hofdamen sind beim Stadtbummel zu sehen. Viele einheimische Kinder laufen vor allem dem kleinen Zarewitsch mit seinem Leibmatrosen hinterher. Um den (er war ja der Thronerbe) war die Zarin in ständiger Sorge um mögliche Verletzungen. Er hatte die Bluterkrankheit geerbt.
Vier Jahre danach machte der Weltkrieg solchen idyllischen Verhältnissen ein Ende. Es nutzte nichts, dass der Großherzog, Lieblingsenkel der Queen Victoria und Bruder der russischen Zarin, klagte, man hätte seine guten Beziehungen zu diesen Ländern nutzen sollen, um das Unglück zu verhindern.
Das elende Ende der Zarenfamilie einige Jahre später nach der Revolution in Russland ist bekannt. Die Hessen-Darmstädter Familie blieb 1918 als einzige unter den deutschen fürstlichen Herrschaften an ihrem Wohnort und war mit ihrer Achtung vor den neuen Verhältnissen selbst auch weiterhin geachtet. Nach dem Tod Ernst Ludwigs kamen seine Familienangehörigen bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Im Jugendstil-Bad Nauheim sind diese Förderer nicht vergessen. Die unglückliche Zarenfamilie wird heute in Russland sogar als heilig verehrt.
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Das 300jährige Thronjubiläum der Romanows im Jahre 1913:
Im Jahre 1913 feierten die Romanows ihr 300jähriges Thronjubiläum. Zu diesem besonderen Anlass wurden diverse Aufnahmen der Familienmitglieder um Zar Nikolaus II. von Russland, seiner Gattin Alexand
ra Nikolajewna oder auch Alexandra Fjordorowna (die Zarin hatte bei ihrer Krönung wie alle Zarinnen ihr Amt unter den Schutz der Ikone des heiligen Fjodor gestellt) und ihren Kindern gemacht. Diese wurden auf Postkarten veröffentlicht.
Auf einer der Karten sieht man die vier Zarentöchter, die Großfürstinnen Olga, rechts, Anastasia, mittig, Maria, links und Tatjana, vorne sitzend. Wenn man die Großfürstinnen betrachtet fällt auf, daß sie alle lange Haare haben. Bei Anastasia und Maria sind diese noch nicht hochgesteckt, da sie 12 und 14 Jahre alt waren und man erst ab dem sechzehnten Lebensjahr als junge Frau galt. Dann wurden die Haare hochgesteckt und die Kleider bodenlang getragen. Es fällt aber auf, daß Tatjana recht kurze Haare hat und sitzt.
Zum Jubiläum reiste die Familie 1913 durch das Land. Man feierte aber zuerst in Moskau und musste daher vom Palast in St. Petersburg nach Moskau in den Palast umziehen. Dieser hatte sehr alte Wasserleitungen und die Großfürstin Tatjana infizierte sich kurz nach der Ankunft dort mit Typhus, da sie Orangeade (Limonade) trank. Zierlich von Gestalt, wurde sie krank und bettlägerig für einige Zeit. Da sie Fieber bekam, rasierte man ihr die Haare ab.
Als die offiziellen Aufnahmen anstanden, brauchte sie eine Perücke, denn kahlköpfig konnte sie nicht auf die Bilder. So zeigen die Aufnahmen Tatjana mit Perücke, die sie für lange Zeit tragen musste, zudem ist sie auf den meisten Aufnahmen nur sitzend zu sehen, weil sie nicht lange stehen konnte. Daher musste man die Aufnahmen so gestalten, daß sie auch in ihrem angeschlagenen Zustand fotografiert werden konnte. Es gibt deshalb auch nur sehr wenige Aufnahmen der Großfürstin Tatjana aus dieser Zeit.
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